Fastnacht mit einer surrealen Narrenkappe              Wiesbadener Tagblatt vom 7. Februar 2005

Frühschoppen besonderer Art im "Weinländer"


Ein anderer närrischer Frühschoppen im "Weinländer", mit Texten, die Elke Boger vortrug.
Ihr Mann Hartmut hat sie auf dem Kontrabass "begleitet".
Foto: wita/Paul Müller

MaK. Als kurz nach eins am Elsässer Platz der Wiesbadener Fastnachtszug startet und alles, was Narrenkappe, Clownsnase, Leopardenohren oder Vampirzähne trägt, mit "Helau" gen Klarenthaler Straße zieht, da herrscht im "Weinländer" an der Rüdesheimer Straße schon längst beste Stimmung bei "Surreal an Karneval".

Nicht, dass er etwa eine Gegenveranstaltung im Sinn habe, meint Rhein- und Weinländer Raimund Knösche. Aber ein leidenschaftlicher Fassenachter sei er trotzdem nicht. "Die Idee ergab sich so, weil wir am ersten Sonntag im Monat immer unseren Früh- und Spätschoppen `Kunst und Kölsch` veranstalten."

Da der Sonntag diesmal mit der Wiesbadener Fassenacht zusammenfiel, habe nichts näher gelegen, als beides auf ganz besondere Weinländer-Art zu verbinden. Zu Kölsch oder Wein, Gulaschsuppe oder Quiche wurde ein musikalisch-literarisches Programm ganz ohne Kostümzwang auf die Beine gestellt.

Eine halbe Stunde nach Öffnung der Kultur- und Weinkneipe im Rheingauviertel findet man dort kaum noch einen freien Platz. An den Wänden des schmalen Raums präsentiert die aktuelle Ausstellung farbenfrohe Collagen von Irma Hartberg: "Natürliches" aus Sand, Gips und Rinde. Elke Boger, Mitglied des theatralischen "Villen-Ensembles" der Volkshochschule und Ehefrau des VHS-Direktors, liest eine der absurden Kurzgeschichten von Wladimir Kaminer.

Dem bekanntesten Russen vom Berliner Prenzlauer Berg folgt Daniel Charms mit seinem sowjetischen Genossen Puschkow, der in den revolutionären 1920ern einen sexistischen Vortrag über Frauen hält und dafür kräftig Prügel bezieht. Russische Satire mit Tradition.

 "Wir haben Texte ausgesucht, die dem Anspruch des Surrealen auch wirklich gerecht werden", erklärt Elke Boger. Am Beginn des jungen Schiller-Jahres gehört dazu auch Robert Gernhardts boshafte kleine Phantasie "Hehre Stunde" - jene literarische Unfassbarkeit, dass Mozart dem armen Schiller 15 Dukaten verspricht, wenn er Goethe ermordet. Ein Unternehmen, das an Mozarts ewiger Geldknappheit scheitert.

Hartmut Boger zupft in der Gruppe "Best Age" den Bass. "Surreal an Karneval" ist das dritte gemeinsame literarisch-musikalische Programm der Akteure im "Weinländer". Knösches Kulturkneipe haben Bogers ursprünglich privat als Gäste entdeckt. Kontakt und Auftritt ergaben sich schnell.

Bevor die Bandmitglieder Michael Linemann, Günter Meder, Jörg Schmüser und Hartmut Boger das wohl verdiente erste Karnevalskölsch trinken, wird noch mal ordentlich in die Saiten gegriffen. Im Repertoire dieses launigen Vormittags: rockige Oldies, Swing, Latino. Zwischendurch ein Ständchen für Dr. Gernot Gruber von der Volkshochschule in AKK zum 65. Geburtstag - "Viel Glück und viel Segen" wird kräftig angejazzt. Als Jörg Schmüser "Rolling on the River" anstimmt, singt auch der letzte Gast begeistert mit.

Im September 2002 hat der heute 46-jährige gelernte Architekt Raimund Knösche seine Kultur- und Weinkneipe "Der Weinländer" gegründet. Spezialität: Anspruchsvoller Modern Jazz. Das Publikum ist eine Mischung aller Altersgruppen aus dem Viertel, aber auch aus der Umgebung Wiesbadens. "Am 22. Februar starten wir eine neue Veranstaltungsreihe", verrät Knösche. "Tresentöne" heißt sie und bietet Klassik live.